Der Bundesligaskandal
Quelle: Arminia Bielefeld-ein Verein will nach oben/ Kirschneck, Linnenbrügger
Jeder, der sich für Fußball interessiert, hat den Begriff „Bundesligaskandal“
schon mal gehört. Aber nur die wenigsten wissen bescheid, was sich damals
wirklich zugetragen hat. Für alle, die bisher nur wussten, dass Arminia Bielefeld
irgendwie mit dem Skandal in Verbindung stand, hier einige Einzelheiten und
Kuriositäten des Skandals, der die Bundesliga in der Saison 1970/71 und
noch Jahrzehnte später in Atem hielt und hält. Die Schilderung bezieht fast
ausschließlich auf Arminia Bielefeld.
Arminia war als Aufsteiger in die Saison gestartet und galt auf Grund von
mangelnden erstligareifen Transfers als Abstiegskandidat Nr. 1. 15 von 18
Trainern tippten den DSC vor der Saison als sicheren Kandidaten für eine
Rückkehr in die 2. Liga.Doch trotzdem wird in der Nacht zum 6. Juni 1971
eine riesige Party gefeiert, in einem Strandhotel in Travemünde tobt ein
schwarz-weiß-blaues Fest. Man hatte den nicht für möglich gehaltenen
Klassenerhalt geschafft. Spieler und Funktionäre springen in Kleidung in
den Hotelpool, Alkohol fließt in Strömen doch keiner ahnt, was sich 600 km
weiter südlich zusammenbraut...
Offenbach war in dieser Saison abgestiegen. Eine untröstliche Tatsache
für den damaligen Präsidenten Horst-Gregoririo Canellas, ein ehrgeiziger
Spanier, dessen Ein und Alles sein Verein gewesen war. Trotzdem gab es am
Vormittag des 6. Junis eine kleine „Party“ in seinem Haus in Offenbach,
während man auf Bielefelder Seite seinen Rausch ausschläft.
Einige illustre Gäste, darunter auch Bundestrainer Helmut Schön, hatten
den Weg zu Canellas Haus gefunden. Dieser lies kurz darauf eine Bombe
platzen: „Sehr geehrte Herrn, ich muss ihnen mitteilen, dass mein Verein,
die Offenbacher Kickers, durch Betrug abgestiegen ist. Ich habe Beweise
dafür und kann ihnen versichern, das diese Saison vor dem Staatsanwalt
entschieden wird.“ Als Beweis spielt er seinen Gästen, darunter einige
Radio- und TV-Teams, einige Tonbänder vor, z.B. das, auf dem Kölns Torwart
Manfred Manglitz seinem Gesprächspartner ein Angebot unterbreitet:
„Für 100.000 Mark jewinnt Offenbach bei uns in Köln dat Spiel. Is dat ein Wort?“
Der gerade 50 gewordene Spanier hatte noch mehr Beweise, in denen er
neben anderen Vereinen auch Arminia Bielefeld anschuldigt.
Wie eine Granate schlug die Nachricht ein. Und das war erst der Anfang.
Die Anschuldigungen von Canella lösten eine Lawine aus, die in den darauffolgenden
Monaten immer größer und größer werden sollte. Alle Zeitungen waren voll,
und das drei Jahre, bevor die WM ins eigene Land geholt werden sollte!
Auch die Bielefelder an der Ostsee wurden von der Explosion wachgerüttelt.
„Der Canellas hat ausgepackt! Wenn unsere Sünden ans Licht kommen, dann gnade
uns Gott!“, soll Präsident Wilhelm Stute vor versammelter Mannschaft verkündet
haben. Sofort reist man zurück nach Bielefeld, versuchte zu retten, was noch
zu retten ist. Alle, Spieler und Funktionäre, plagte ein schlechtes Gewissen,
schließlich hatte man sich den Klassenerhalt erkauft. Die Siegesserie am
Schluss? Alles Schieberei. Man musste die Löcher in der Vereinskasse stopfen,
bevor es jemandem auffällt, soll sich der Buchhändler an einen anonymen Spender
gewandt haben. „Wir brauchen jetzt jede Mark!“
Monaten des Leugnens (Stute wird in einem Satz zitiert: „Sie können mir die
Hand abhacken, wir sind unschuldig“), folgt das Geständnis am 24. Oktober 1971.
Es machte keinen Sinn mehr, alles abzustreiten, die Beweislast war erdrückend.
Das Urteil des DFB-Sportgerichts am 19. Februar 1972: Zwangsabstieg in die
oberste Amateurliga. Manch einer sah darin schon das Ende des Vereins, der
vor einem sportlichen, finanziellen und Scherbenhaufen. Auch war das Image ruiniert.
Rückblick:
11 Monate zuvor, im März 1971, stand Arminia 10 Spieltage vor Schluss auf
dem vorletzen Platz, der Klassenerhalt war gefährdet, verloren die Blauen
bei Mitaufsteiger Kickers Offenbach 0:5.
Schon die Hinrunde hatte gezeigt, dass es der Mannschaft an Erstligatauglichkeit
fehlte. Nach dieser Pleite rief Präsident Stute seine Mannschaft und die
Klubführung zu einer Krisensitzung zusammen. Trainer Egon Piechaczek hatte
von Frankfurts Torhüter Peter Kunter gehört, dass manche abstiegsbedrohte
Mannschaft gar nicht soviel siegen könne, wie die anderen schmieren. Offenbachs
Geschäftsführer soll sogar den Tipp erhalten haben, besonders bei Clubs, die
im Niemalsland der Tabelle ware, nachzufragen. Also unterbreitete der Coach
dem Vorstand den Vorschlag, es den anderen einfach gleichzutun. Aufgrund der
finanziellen Notwendigkeit tat man es letztendlich. Aber nicht nur das war
ausschlaggebend, einige hatten auch persönliche Motive, schließlich hätten
sie den Heldenstatus, den sie wegen des Aufstiegs im fußballvanatischen Bielefeld
errungen hatten, verloren. Also machte man sich auf die Suche nach einem
Spender, der die illegalen Machenschaften finanzieren konnte, schließlich
wollte man ja die ohnenhin nicht gut gefüllte Vereinskasse nicht mehr belasten,
als es unbedingt nötig war. Noch bevor man einen gütigen Geber hatte, hatte
man sich die erste Schummelnummer für das Spiel gegen den FC Schalke 04 ausgeguckt.
Der Ex-Schalker und Verteidiger Waldemar Sloiany wurde im April 1971 nach
Gelsenkirchen geschickt und das Angebot stieß bei den Knappen durchaus auf
offene Ohren. Aber weder die Schalker, noch die Bielefelder hatten Erfahrung
im Geschäft der Schiebung. So überschlugen sich die Ereignisse an jenem 17.
April im Schalker Stadion. Die Schalker hatten dummerweise vergessen, ihrem
Torwart Dieter Burdenski von ihrem Vorhaben zu erzählen. Die Verteidigung ließ
zwar alle Bälle bereitwillig durch, doch der Keeper ließ keinen Ball rein, hielt
glänzend. Irritier von der Tatsache, dass Burdenski alles parierte, soll ein
Bielefelder Spieler seinem Schalker Gegenspieler nach einer Weile gedroht haben:
„Wenn der Ball nicht bald drin ist, müsst ihr das Geld zurückzahlen!“ Von nun an
tat der S04 nichts mehr, aber es fiel und fiel einfach kein Tor. Die Zuschauer
skandierten schon „Schiebung, Schiebung“ als es den Bielefeldern in der 84. Minute
doch noch gelang dem überragenden Burdenski ein Ei ins Nest zu legen.
Später, bei der Aufarbeitung der Geschehnisse, weigerten sich die Schalker
wehemend dagegen, einen Geldbetrag erhalten zu haben. Doch ausgerechnet der
inzwischen zum DSC gewächselte Dieter Burdenski, seines Zeichens bester Mann
auf dem Feld am 17. April, gab zu, 2.300 Mark „Niederlagenprämie“ erhalten zu
haben. Zuvor sollen die Schalker, an die Arminia insgesamt rund 40.000 Mark
übergab, Waldemar Slomiany, dem Kontaktmann, über 130.000 Mark gezahlt haben,
dass dieser vor Gericht nicht gegen sie aussagt. Die Schalker waren
bemerkenswerterweise sehr „günstig“, 2.000-3.000 Mark waren auch damals sehr
wenig. Ihnen schien offenbar nicht klar zu sein, dass sie ihre Karriere aufs
Spiel setzten. Den Bielefeldern war dies vorerst egal, sie machten fröhlich
weiter, schließlich hatten sie für 40.000 Mark 2 Punkte „erworben“ und das
schien ihnen ein gutes Geschäft. Als nächster Geschäftspartner visierte man
den MSV Duisburg an. Ein Herr namens Werner Schneider, der, wie später vom
Spiegel enthüllt vom –verbotenen- Spielerhandel lebte, hatte dem DSC einen
Tipp gegeben, mit den Zebras Kontakt aufzunehmen. Mit einem Punkt könne man
rechen wenn man den in Duisburg unbeliebten Verteidiger Georg Damjanoff für
viel Geld abkauft, so Schneider. Quasi ein neuer Mann und im Endeffekt ein
Punkt. Klang verlockend, und die Bielefelder willigten ein.
Doch der MSV Duisburg, an den insgesamt 60.000 Mark gezahlt wurden weihte in
den Deal nur drei Verteidiger ein, der Rest der Mannschaft wusste von nichts:
Was dazu führte, dass der MSV den DSC vor eigenem Publikum mit 4:1 abfertigte.
Was hier vielleicht etwas skurril klingt, fand Arminia aber alles andere als komisch, forderte die 60.000 zurück. Doch Gerd Kenschke, Außenstürmer bei Duisburg, der den Deal abgewickelt hatte, zahlte nur 57.500 Mark an die Ostwestfalen. Den Rest hatter er „schon ausgegeben“.
Nach diesem Fehlschlag brauchte man nun natürlich dringender denn je Erfolge.
Beim nächsten Heimspiel gegen den VfB Stuttgart wollte man deshalb (mal wieder)
auf Nummer sicher gehen. Die Schwaben willigten zwar ein, waren aber wesentlich
teurer, als die Schalker 6 Wochen zuvor. Jeder Spieler wollte 15.000 Mark,
5.000 Mark Spesen, 5.000 Mark wollte der Mittelmann haben und der andere
Mittelmann, ein Gastwirt, der sich unauffällig an die Spieler ranpirschen konnte,
nahm 15.000 Mark. Insgesamt beliefen sich die Kosten also auf 70.000 Mark.
Woher das Geld kam? Höchstwahrscheinlich hatte man inzwischen einen Spender
gefunden, Baulöwe Schreiner hatte wenig mit Fußball am Hut und war deshalb
beim DFB weitgehend unbekannt. Jedenfalls siegte man gegen den VfB 1:0,
was dazu führte, dass man dem rettenden Ufer noch einen weiteren Schritt
näher kam. Doch das reichte nicht. Am letzten Spieltag sollte der finale
Coup stattfinden, der den Klassenerhalt letztendlich sichern sollte.
Es durfte nichts schiefgehen und deshalb wurde der letzte und alles
entscheidende Spieltag von den Arminen an zwei Stellen manipuliert:
Einerseits war man bemüht, sich die Punkte beim eigenen Spiel bei Hertha
BSC Berlin zu kaufen, andererseits „musste“ man bei der Partie Braunschweig
gegen Oberhausen beteiligen. Denn: Oberhausen war ebenfalls abstiegsgefährdet,
bei einem Sieg der Truppe in Braunschweig wäre jeglicher Erfolg der Bielefelder in Berlin für die Katz gewesen. Und Braunschweig hatte gar keinen Grund noch einmal alles zu geben, denn für sie war der Klassenerhalt schon sicher.
Arminia plante wie folgt: 150.000 Mark für Berlin, 120.000 für Braunschweig.
Ein paar Tage vor dem finalen Akt meldete sich ein Braunschweiger bei Baulöwe
Schreiner: „Unter 170.000 läuft nix!“ Trotz dieser hohen Summe akzeptierten
die Blauen, es gab für sie jetzt kein Zurück mehr. Davon sollte Arminia 70.000
Mark selbst übernehmen, den Rest würde Schreiner bezahlen. Doch auch Hetha
reichten 150.000 nicht: „Wir wollen 100.000 mehr!“, sagte der Verhandlungspartner.
Auch hier reagierte man mit Zustimmung auf die Forderungen.
Am letzten Abend vor den Spielen flog Schreiner nach Braunschweig, im Gepäck die
70.000 Mark von Arminia, seine 100.000 hatte er im Vorraus bezahlt.
Am nächsten Tag sah er das Spiel, was 1:1 endete. Zu wenig, dachte er sich wohl,
schließlich hatte man für einen Sieg bezahlt und so machte er sich fluchs auf
den Weg zum Flughafen, wo er aber noch im letzten Moment vom Braunschweiger
Nationalspieler Max Lorenz abgefangen wurde. Er gab klein bei und steckte den
Braunschweigern 40.000 Mark zu. (Ein Argument von Lorenz war: „Die Spieler
wollen doch in die Ferien!“) Auch Arminias Auftritt in Berlin hatte so
seine Turbulenzen: 250.000 Mark waren schon zuvor an die Berliner Kicker
verteilt worden. Das reichte aber doch nicht, denn auch die Offenbacher Kickers
hatten hier ihre Finger im Spiel, sie hatten den Herthanern 140.00 Mark für
einen Sieg über den DSC geboten.Aber einigen Spielern war selbst das zu wenig,
schließlich war für Hertha auch der Uefa-Cup noch in Reichweite. Der Ungar
Zoltan Varga und der Rumäne Lazlo Gergely forderten Nachzahlungen. 30.000
Mark wurden vor dem Spiel an Gergelys Frau abgegeben. Diese versprach, die
Hälfte, also 15.000 an vargas weiterzureichen – was sie aber nicht rechtzeitig
tat. Vargas rief in der Halbzeit des Spiel zu Hause an und erfuhr, dass das
Geld immer noch nicht da war. Vargas wurde daraufhin sauer, stinksauer, so
stinksauer, dass er Arminia in der zweiten Halbzeit aus Wut beim Stand von
0:0 einen Ball an die Latte hämmerte. Das trieb einigen Funktionären auf der
Tribüne den Angstschweiß auf die Stirn. Doch am peilichsten war der Auftritt
des DSC-Betreuers Greif. Er hatte einen Koffer mit dem zweiten Teil des
Bestechungsgeldes. Doch dieser entglitt ihm auf der Tribüne und sprang auf.
Heraus purzelten viele Geldscheine. Das Publikum versank in Gelächter.
Doch letztendlich ging noch mal alles gut, Arminia gewann mal wieder mit 1:0,
der anvisierte Klassenerhalt war geschafft. Doch die Freude hielt nicht lange an...